Die Chance für ein neues Europa

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Martin Schulz wird als SPD-Spitzenkandidat in die Europawahl im Mai gehen. Am Sonntag werden in Berlin die SPD-Kandidatinnen und Kandidaten auf einer Delegiertenkonferenz nominiert (SPD.de überträgt live). Mit der Süddeutschen Zeitung hat Schulz zuletzt über eine anti-europäische Stimmung, über Regulierungswut und über sein Ziel, Kommissionspräsident zu werden, gesprochen.

Martin Schulz möchte Kommissionspräsident werden. Ein Ziel, dass mit dem Lissabon-Vertrag näher gerückt ist. Dieser sieht vor, dass der Europäische Rat, also die Staats- und Regierungschefs, dem Europäischen Parlament "nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit" einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlägt. Damit haben es die Wählerinnen und Wähler in der Hand: „Wenn sie im Mai in ganz Europa Abgeordnete wählen, dann werden die Abgeordneten mit darüber bestimmen können, wer demnächst an der Spitze der Kommission steht“, machte der EU-Parlamentspräsident im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung deutlich.

Der Vollblut-Europäer

Der SPD-Politiker geht nicht nur als deutscher Spitzenkandidat seiner Partei in die Europawahl, sondern als gemeinsamer Kandidat aller sozialdemokratischen Parteien Europas. Und er kann zuversichtlich in den Wahlkampf gehen, denn man kennt den Vollblut-Europäer in der ganzen Union. Bereits vor seinem Amtsantritt als Präsident des Europaparlaments bekam Schulz als Abgeordneter nicht zuletzt durch seine hitzigen Debatten mit dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi europaweit immer wieder viel Zuspruch.

Natürlich begegnet der gelernte Buchhändler auch kritischen Stimmen. Ein Treffen ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: „Als ich vor 20 Jahren Europaabgeordneter wurde, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass man mich einmal fragen würde, was mich vor Kurzem eine Schülerin einer deutschen Schule in Straßburg gefragt hat: Wie können Sie sich denn bewerben, Sie sind doch ein Deutscher?“ Dabei sieht sich der Mann aus Würselen bei Aachen vor allem als Europäer.

Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bekräftigte Schulz sein Vorhaben, Europa nur dort weiter auszubauen, wo es Sinn mache. „Die Bürger haben doch schon lange verstanden, dass beispielsweise der Klimawandel ein Problem ist, das nicht mehr national gelöst werden kann, sondern nur in einem größeren Rahmen. Zugleich wollen und brauchen sie keine Regelung aus Brüssel, ob Olivenöl in offenen Kännchen serviert werden darf oder nicht.“

Die EU muss sich verändern

„Es gibt einige Herausforderungen für das europäische Projekt, die wir Europapolitiker angehen müssen. Die erste ist die Angst der Menschen, dass ihre nationale Identität durch Europa substituiert wird. Wir müssen den Leute sagen: Keiner will euch eure nationale Identität wegnehmen“, so Schulz. Trotzdem müssen den Nationalstaaten klargemacht werden, dass es Aufgaben gebe, die der einzelne Staat nicht mehr bewältigen könne. Die Nationalstaaten müssen nach Auffassung des EU-Parlamentspräsidenten die europäischen Institutionen mit der notwendigen Kraft ausstatten, damit diese handlungsfähig bleiben können. Deshalb müsse sich die EU in Gänze verändern.

Martin Schulz schlägt vor, dass darüber nachgedacht werden müsse, was national, was regional und was lokal besser gemacht werden kann als es die Politik in Brüssel vermag. Die aktuelle Situation brachte Schulz gegenüber der SZ auf den Punkt: "Das Problem ist, dass derzeit in der Kommission, überspitzt gesagt, zwei Denkschulen sitzen. Die einen geben nicht eher Ruhe, bis sie auch den letzten kommunalen Friedhof privatisiert haben. Und die anderen hören nicht auf, bevor sie nicht eine einheitliche Beerdigungsordnung in Europa haben. Das macht die Leute verrückt, damit muss Schluss sein".

Kampf gegen eine anti-europäische Stimmung

Ein wichtiges Thema – auch im Wahlkampf: ein Desinteresse vieler Bürger Europa gegenüber und eine aufkommende anti-europäische Stimmung. „Wir müssen den Leuten klarmachen, dass die EU nach der Wahl immer noch da ist. Wir müssen den Leuten sagen: Wer euch jetzt vorträgt, es geht um Ja oder nein zur EU, der macht euch was vor“, betonte Schulz im Interview. Der Eindruck vieler Menschen, , dass eine anonyme und intransparente Macht sie in ihrem alttäglichen Leben ärgern würde, kann der erfahrene Europapolitiker nachvollziehen, doch deshalb sei die Europawahl auch eine Chance! Den Bürgerinnen und Bürgern müsse verständlich gemacht werden, dass sie ein Mitbestimmungsrecht haben, so Schulz.